Sommaire (en Allemand)
Bei einem ZugunglĂŒck verliert der berĂŒhmte Konzertpianist Paul Orlac beide HĂ€nde. Um ihm das Klavierspielen weiter zu ermöglichen, transplantiert man ihm die Gliedmassen des soeben hingerichteten Raubmörders Vasseur. Operation und Heilung verlaufen reibungslos, doch als Orlac erfĂ€hrt, dass er "MörderhĂ€nde" trĂ€gt, wird er von der quĂ€lenden Vorstellung heimgesucht, unter Vasseurs unheilvollem Einfluss zu stehen. Orlac droht wahnsinnig zu werden, als sein Vater tot aufgefunden wird - erstochen mit einem Dolch, der einst Vasseur gehörte und auch dessen FingerabdrĂŒcke trĂ€gt... (3Sat Presse)
«Dieser Film wirkt etwa wie eine Edgar Allen Poesche Novelle, zu der Ludwig Wolf das Schlusskapitel geschrieben hat.
Aber trotzdem man dem Publikum zu Nutz und Frommen die phantastische Handlung zum Schluss in GefĂ€llig-Kriminalistische umgebogen hat, ist das Werk trotzdem eine Etappe auf dem Wege zum kĂŒnstlerischen Film.
Aber meine Herren vom Bau: Der Zuschauer ist keineswegs so trĂ€ge in der Phantasie und von so ungelenkem Intellekt, wie er in eurer Vorstellung lebt. Das Publikum geht ins Kino, aufnahmebereit, willig, sich von euch hinauffĂŒhren zu lassen in unbekannte Reiche, die es bisher noch nie geschaut. Und nun kommt ihr und macht seinem beschrĂ€nktem Untertanenverstand Konzessionen, die es gar nicht verlangt, ja, die es manchmal sogar aufbegehren lĂ€sst. Denn dass ihr's wisst: Gerade der naive Zuschauer hat eine verflucht feine Nase fĂŒr jeden Zynismus, der sich zu ihm herabzulassen glaubt und im Grunde nur den Mangel an Mut verhĂŒllt, ein Sujet bis zu seinen letzten Konsequenzen zu verfolgen.
Warum muss sich dieser geheimnisvolle Unbekannte plötzlich als ein trivialer Verbrecher aus der kriminalistischen Chronik der Tageszeitungen entpuppen, nachdem der Zuschauer sich schon darauf eingerichtet hat, in ihm ein Art "Revenant" zu sehen? Und wisst ihr auch, dass ein solcher Stimmungsumschlag sogar den von euch doch mit so glĂŒhender Inbrunst ersehnten Publikumserfolg gefĂ€hrden kann? Dass es hier nicht geschehen ist, dass man bis zum Schluss gebannt blieb, ist einzig der ausgezeichneten Regie von Doktor Robert Wiene zu verdanken, die auch hier noch die Albdruckstimmung des ganzen Werkes festzuhalten weiss.
Das ist das hauptsÀchliche Verdienst dieser Regieleistung: Dass sie die Handlung von vornherein in einen Schimmer von IrrealitÀt taucht, die banale Frage nach der realen Möglichkeit der VorgÀnge gar nicht aufkommen lÀsst.
Ăber jeder Szene liegt die Magie Poescher oder E. Th. Hoffmannscher Novellen. Diese Bilder sind in die DĂ€mmerstimmung der Spukballade getaucht und dabei von einer nur selten aussetzenden Intensivierung im Rhythmischen. Faszinierend einige Einzelheiten, wie die Traumerscheinung des Unbekannten. Wiene gibt unter Ausschaltung aller naturalistischen Details die Essenz jeder einzelnen Situation. Dadurch bewirkt er die Transfiguration des Zuschauers.
Conrad Veidt als Orlac gestaltet das Abbild des durch ein mystisches Geschick seelisch verheerten Menschen. Suggestiv der Ausdruck des Entsetzens, wenn er durch den auf das Bett geworfenen Zettel erfĂ€hrt, dass der Chirurg ihm als Ersatz fĂŒr seine bei der Eisenbahnkatastrophe verstĂŒmmelten HĂ€nde die HĂ€nde eines hingerichteten Mörders angesetzt hat. Leider ist seine Mimik nicht immer frei von Bewusstheit, von der berĂŒhmten Conrad Veidt-Note, die bei ihm schon mitunter Klischee geworden ist. Seine mimischen ĂbergĂ€nge sind nicht immer von letzter Kontinuierlichkeit, wie bei Jannings, bei Asta Nielsen, mitunter auch bei der Negri. Manchmal springt er abrupt von einem mimischen Ausdruck zum anderen hinĂŒber. Voll restloser GenialitĂ€t dagegen ist das Spiel seiner HĂ€nde. Ihre Beredsamkeit allein ist imstande, psychische ZustĂ€nde auszudrĂŒcken, das Drama einer Seele zu entwickeln. Veidt ist einer der wenigen auserwĂ€hlten Menschendarsteller des deutschen Films. Desto stĂ€rker ist seine Verpflichtung, alles zu ĂŒberwinden, was zur Schablonisierung seiner einmaligen kĂŒnstlerischen IndividualitĂ€t fĂŒhren könnte. (...) » (Heinz Michaelis, Film-Kurier, Nr. 28, 2.2.1925)
Orlacs HĂ€nde
Der Premierenerfolg war unbestritten stark. Conradt Veidt wurde oft gerufen; was er gab war eine ausgezeichnete Virtuosenleistung, vielleicht zu virtuos, um unter die wirklich grossen Leistungen des KĂŒnstlers eingereiht zu werden. Das Buch hat zweifellos starke filmische QualitĂ€ten, die der Regisseur Dr. R. Wiene sehr gut herauszuholen wusste; besonders, soweit es sich darum handelte, die Stimmung des irrealen, um nicht zu sagen visionĂ€ren Elementes zu treffen, das ja in dem Werke vorherrschend ist. Am Schluss kommt, als grosse Ăberraschung, der Umschwung aus dem Irreal-Phantastischen ins Real-Kriminelle. Die einheitlich kĂŒnstlerische Linie des Werkes wird zwar dadurch gestört, doch ist kaum anzunehmen, dass dieser Schluss der Publikumswirksamkeit des Films Abbruch tun wird, eher scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Die Fabel: Ein berĂŒhmter Pianist hat durch ein EisenbahnunglĂŒck beide HĂ€nde verloren. Ărztliche Kunst ersetzt sie durch diejenigen eines ungefĂ€hr gleichzeitig exekutierten Mörders. Orlac droht an dem furchtbaren Bewusstsein, MörderhĂ€nde zu tragen psychisch und physisch zugrunde zu gehen. Die Lösung: Der Exekutierte, dessen HĂ€nde Orlac trĂ€gt, war unschuldig. Die angebliche Spukerscheinung aber, die, scheinbar mit kĂŒnstlichem Kopf umgehend, Orlac in Verzweiflung trieb, ist der wirkliche reale Mörder. Orlac also von seinem Bann befreit. â Den Mörder spielt Kortner, am stĂ€rksten in der galgenhumorigen Drastik der Entlarvungsszene. » (Lichtbild-BĂŒhne, Nr. 6, 7.2.1925)
(Kritiken zitiert nach www.filmportal.de)
Remarques géneraux (en Allemand): " Von der zeitgenössischen Kritik wurde "Orlacs HĂ€nde" fast einhellig als der wichtigste deutschsprachige Film des Jahres 1924 gefeiert. Gelobt wurde vor allem die gelungene Synthese von Phantastischem und Realem, die genaue und plausible Schilderung der psychologischen Motive und die ĂŒberdurchschnittliche Leistung der Schauspieler. "Eine geniale Idee war es, den Roman Maurice Renards fĂŒr Conrad Veidt, fĂŒr die nervös flackernden, mienenreichen, durchgeistigten, wunderbaren HĂ€nde Conrad Veidts zu bearbeiten" (Der Tag). Der Film wurde erkannt als das, was er wirklich war: ein effektvoller, durchaus moderner Thriller mit besonderem Augenmerk auf die psychologische Entwicklung der Personen. Dass dieser hochgelobte Film nach 1945 ĂŒberwiegend als missglĂŒckter, spĂ€texpressionistischer Nachzieher des "Caligari"-Regisseurs Robert Wiene gewertet wurde, hat mit der lange Zeit unzureichenden Ăberlieferung des Films zu tun. Erst 1995 wurde im Belgrader Filmarchiv eine 35-Millimeter-Kopie mit den originalen deutschen Zwischentiteln entdeckt, die sich als Grundlage fĂŒr eine umfassende Rekonstruktion anbot.
Die neue Musik entstand als Work-in-progress des deutsch-amerikanischen Komponisten Henning Lohner. Geschrieben ist sie fĂŒr eine Quartett-Besetzung (Klarinette, Posaune, Cello und Klavier) und Live-Elektronik. Henning Lohner nimmt "Orlacs HĂ€nde" als Modell fĂŒr alle Horrorfilme, die das Thema der Organtransplantation verarbeitet haben, und variiert in seiner Musik eine Reihe genretypischer Klangbilder." (3 Sat Presse)
LĂ€nge der rekonstruierten Version von 1996: 2357 m, 86 min bei 24 b/s laut FSK vom 13. MĂ€rz 1996